Mal-und Zeichenzirkel im Institut für Nachrichtentechnik (INT) Berlin
lm Rahmen des „Bitterfelder Wegs entstanden in den 1960er Jahren in allen größeren Betrieben der DDR Gruppen zur künstlerischen Betätigung der Werktätigen. Initiator und treibende Kraft, einen Malund Zeichenzirkel im Institut für Nachrichtentechnik (INT) Berlin-Schöneweide zu gründen, war Adolf Kieninger, ein alter Gewerkschafter, Mechaniker und leiden-schaftlicher Maler und Zeichner, der den Mitarbeitern des Industriebetriebes ein kulturelles Angebot machen wollte.
Die Einladung der Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) an sieben mal-interessierte Kolleglnnen zur Zusammenkunft am 25. Mai 1978 wurde das Gründungsdokument des Mal- und Zeichenzirkels (MZZ). Damit gehörte er zum klassischen Kulturangebot der DDR.
In den 60er und 70er Jahren entstanden neben Literatur-, Theater-, Musikzirkeln auch Zirkel der bildenden Kunst in vielen Betrieben und Stadtteilen. Sie boten künstlerischen Laien eine regelmäßige und langfristige, von Berufskünstlern angeleitete, kreative Betätigung nach der Arbeit. Die künstlerische Leitung übernahm der Künstler Michael lhrke, der ein Studium der Malerei an der Kunsthochschule Berlin Weißensee absolviert hatte. Zwar wurde die betrieblich vorgegebene Mindestzahl von zehn TeilnehmerInnen für die Gründung eines Zirkels nicht erreicht, aber bald gesellten sich weitere mal-willige Kolleglnnen hinzu. Jährlich stellte die Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) des INT finanzielle Millel in Höhe von 300 Mark zur Verfügung. Davon wurden Ölfarben, Leinwände und Keilrahmen gekauft.
ZIRKELARBEIT
Einmal wöchentlich trafen sich die Zirkelmitglieder unmittelbar nach Arbeitsschluss zu ihrer Zusammenkunft im Speisesaal des Betriebes. In den ersten zwei bis drei Jahren waren diese ausschließlich Mitarbeiter des INT, die unterschiedlichen Berufsgruppen angehörten: Ingenieure, promovierte Chemiker, Sachbearbeiter, Mechaniker. Sie alle verband das aktive Interesse an der bildenden Kunst.
Die Gründung von Zirkeln war ein Baustein um das erklärte Ziel – durch allseitige Bildung den sozialistischen Menschen zu formen – zu erreichen. Die Mitarbeit in Zirkeln gab den Teilnehmern die Möglichkeit, das geforderte gesellschaftliche Engagement nachzuweisen, das in der Kaderakte vermerkt wurde.
Malen und Zeichnen in der Natur
Das Malen und Zeichnen in der Natur sowie Industrielandschaft, z.B. vor Ort in Schöneweide oder im Braunkohletagebau der Lausitz, bildeten dabei wichtige Bestandteile. In den gemeinsam beschlossenen Jahresprogrammen lag in den ersten Jahren der Zirkelarbeit der Schwerpunkt auf den allgemeinen Grundlagen des Malens: Bildaufbau, Komposition, Farblehre, Anatomie, Materialkunde, Naturstudium. Die Laienkünstler übten sich in verschiedenen Zeichentechniken, Druckverfahren und Ölmalerei, eigneten sich Wissen über Perspektive, goldenen Schnitt und Farbtheorie an. Ebenso wurde das Portrait-und Aktzeichnen erlernt.
EXKURSIONEN
Zu Höhepunkten gestalteten sich jedes Jahr die mehrtägigen Exkursionen in die unterschiedlichen Gegenden der DDR (Ostsee, Oderhaff, Thüringen, Fläming) oder nach Prag. Über Jahre beliebt war das Zeichnen und Malen in der reizvollen Umgebung der Ostsee z.B. auf Rügen oder am Stettiner Haff. An den Malexkursionen nahmen auch Familienangehörige teil. Das malerische Ergebnis dieser prägenden Eindrücke wurde später in einer Ausstellung im sorbischen Kultur-und Informationszentrum gezeigt.
Zu den Mitgliedern, die nur eine Zeitlang unsere Lust an der Malerie teilten, gehörte Anfang der 80-Jahre Dieter Beyer. Er war in Hosena zu Hause, im Gebiet des Braunkohletagebaus. Dorthin lud er uns zu einer Malexkursion ein mit dem Ziel, die Wunden der geschundenen Erde darzustellen. Es war dramatisch zu sehen, wie das blühende Leben, hinter einer Abbruchkante in die Agonie der sterilen Abraumhalden übergeht.
Dieter Kunze
EXKURSIONEN – PRAGER KARST
AUSSTELLUNGEN UND GESELLSCHAFTLICHE WAHRNEHMUNG
Die Präsentation der künstlerischen Ergebnisse aus den Exkursionen sowie der Arbeiten aus den Zirkeltätigkeiten erfolgte in selbst organisierten Ausstellungen. Auch an Kreis-und Bezirksausstellungen sowie den Arbeiterfestspielen nahm der Zirkel mit Erfolg teil.
Der Zirkel war mit Aktionen auf Stadtteilfesten vertreten und präsentierte sich auf Ausstellungen, auch DDR weit. Es gab Auszeichnungen für die Gruppe und für einzelne Mitglieder 1988 erreichte ein Bild sogar die Ruhrfestspiele in Recklinghausen.
AKTIVITÄTEN
Ein wichtiger Faktor des Zirkellebens war die Einbeziehung von Familienangehörigen, Freunden und Bekannten. Gemeinsam wurden Ausstellungen besucht, z.B. DDR-Kunstausstellungen und Präsentationen des Volkskunstschaffens. Ebenso gehörten gemeinsame Feiern zum Zirkelleben, auf denen sich die Mitglieder kennen und schätzen lernten. Es entstanden längjährige Freundschaften, die über die Freude am Malen und Zeichnen hinausgingen.
UMWANDLUNG INSTITUT FÜR NACHRICHTENTECHNIK
1987 wurde aus dem Institut für Nachrichtentechnik in Berlin-Oberschöneweide, Edisonstraße 63, das Zentrum für Forschung und Technologie der Nachrichtentechnik (ZFTN) gebildet und als weiterer Betriebsteil in den Stammbetrieb eingegliedert. Stammbetrieb war der VEB Nachrichtenelektronik Albert Norden Leipzig, das ehemalige Fernmeldewerk in Leipzig-Stötteritz. Das Kombinat war Alleinhersteller (Stand 80er Jahre) von u.a. Nachrichtenanlagen, Telefonen, Funkgeräten und Antennen in der DDR.
VOLKSFEST KÖPENICKER SOMMER
Das Volksfest Köpenicker Sommer im Südosten Berlins war eines der beliebtesten Straßenfeste. In der Altstadt Köpenick, im Luisenhain und auf der Schlossinsel wurde Besuchern Musik und Unterhaltung geboten. Über Jahre trug der Mal-und Zeichenzirkel des Instituts für Nachrichtentechnik zum Gelingen des Köpenicker Sommers bei und präsentierte auf der idyllischen Schlossinsel Köpenick für die Öffentlichkeit seine Aktivitäten: Malen, Zeichnen, Werkschauen und zeigte die Vielfalt der Möglichkeiten bei der Herstellung von großflächigen Collagen. Die Stadtlandschaft rund um das Köpenicker Rathaus diente als Motiv für sehr ansprechende, künstlerisch wertvolle Tafeln. Diese konnten direkt vor Ort unter freiem Himmel gemeinsam mit den Besuchern und Schaulustigen gestaltet werden. Die dabei entstandenen drei großformatigen Collagen wurden in zahlreichen Ausstellungen als Gemeinschaftsarbeit des Mal- und Zeichenzirkels präsentiert.
ZEITEN DES UMBRUCHS 1989
An vielen gesellschaftlichen Ereignissen nahm der Mal- und Zeichenzirkel gemeinschaftlich teil, wie an der Demonstration am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz, an der sich der Zirkel mit eigenen Transparenten beteiligte Der Herbst ’89 war eine aufregende Zeit! Was würde werden? Viele hatten die Hoffnung, dass im Zeichen von .Glasnost“ und „Perestroika“ das starre SED Regime reformiert werden könnte und eine bessere DDR möglich wäre. Ein Hoffnungsträger war Egon Krenz. Unser Transparent zu dieser Demo lautete: ,,Egon, wann beginnt die Wende – oder sind wir schon am Ende?“
ENDE DES MAL-UND ZEICHENZIRKELS 1990
Durch die Aufteilung der Betriebe nach der Wende 1990 und teilweiser Verselbständigung in GmbH’s bzw. Übernahme durch die Treuhand, wurde das ehemalige Institut für Nachrichtentechnik (INT) – seit 1987 Zentrum für Forschung und Technologie der Nachrichtentechnik (ZFTN) – als Trägerbetrieb des Kunstzirkels abgewickelt. Es drohte damit auch das Ende des Malund Zeichenzirkels. Jedoch war das Interesse und die Begeisterung, gemeinsam künstlerisch arbeiten zu wollen, geblieben. Das fast familiäre Miteinander hielt die Gruppe zusammen. Vom einst größten Industriegebiet Berlins, indem zu DDR-leiten über 30.000 Menschen arbeiteten, überlebte an der Wilhelmminenhofstraße nur das „Batteriewerk“ (BAE/Belfa). Die Treuhandanstalt hatte privatisiert. Das Aus für fünf Großbetriebe, wie: Metallhütten und Halbzeugwerke, Institut für Nachrichtentechnik, Transformatorenwerk, Kabelwerk Oberspree und Werk für Fernsehelektronik.